Im Zeitalter der Digitalisierung und des E-Commerce rückte auch die Automatisierung von Verkaufs- und Marketing-Prozessen rasch in den Fokus und begründeten mit MarTech-Lösungen sogar einen neuen Industriezweig.
Um entsprechende Konzepte möglichst breit anwendbar zu machen, wurde das Konzept der Persona, einer schematischen Definition der Idealkundin oder des Idealkunden, entwickelt. Mit der Customer Journey wird modellhaft der Prozess von der ersten Wahrnehmung eines Angebotes über den Verkaufsabschluss bis hin zum After Sales beschrieben. Ziel ist, durch einen möglichst hohen Automatisierungsgrad die Kosteneffizienz zu erhöhen.
Bei standardisierten Angeboten mit einem reduzierten Erklärungsbedarf kann dies gut funktionieren. Da kaum menschliche Interventionen notwendig sind, bietet ein solcher Prozess auch für die Kundschaft einen Nutzen, welche als Einzelperson unabhängig von Zeit und Ort einkaufen kann und dies erst noch mit weniger Aufwand. Bei vielen Lösungen verlaufen die Grenzen zwischen B2C und B2B fliessend, und die Versuchung ist gross, entsprechende Consumer-Modelle eins zu eins auf komplexe Business-Lösungen zu übertragen.
Der Komplexität von Buying Centern gerecht werden
Aber was nützt die Definition einer Persona mit den üblichen einstellungs- und verhaltensbezogenen Kriterien, wenn die Kundenseite aus einem vielschichtigem Buying Center mit mehreren Entscheidungsträgerinnen und -trägern mit unterschiedlichen Interessen besteht? Die Beschreibung der bevorzugen Freizeitgestaltung und des konsumierten Frühstücksmüsli ist hier nicht zielführend…
Zwar hat die Verhaltensforschung mittlerweile widerlegt, dass Business-Entscheidungen auf rein rationalen Kriterien beruhen und persönliche Präferenzen mögen auch hier eine Rolle spielen. Im Zentrum stehen aber noch immer die Aufgaben, Herausforderungen und Wünsche verschiedener Abteilungen und Funktionen, die identifiziert und unter einen Hut gebracht werden müssen.
Und auch der Kaufprozess folgt selten einem vom Anbieter definierten Modell. Oft beginnt die informelle Vorselektion möglicher Anbieter schon bei der Problemidentifizierung und nicht erst bei der Erstellung der Anforderungen. Wer erst ins Rennen steigt, wenn der Kunde die formelle Lieferantenauswahl lanciert, hat den effektiven Startschuss längst verpasst.
Entscheidende Kriterien bei B2B-Lösungen
Bei der Gestaltung des Auswahlverfahrens spielt oft die Firmengrösse und Organisationsform eine Rolle. Genauso wichtig sind aber auch rechtliche Vorgaben sowie die Anzahl der beteiligten Fachabteilungen, Hierarchieebenen und involvierter Aussenstehender, wie Beraterinnen oder Lieferanten von bereits bestehenden Lösungen, die integriert werden müssen.
Werden die daraus entwickelten Kriterien bei der Erstellung der Vermarkungsstrategie herausgearbeitet, resultiert ein Zielmarkt, der in der Regel genau definiert und rechtzeitig angesprochen werden kann. Allein darauf zu vertrauen, dass sich die potenziellen Kundinnen und Kunden im Rahmen einer digitalen Marketing-Kampagne bei Bedarf von selbst melden, ist eine risikoreiche Strategie.
Mit der richtigen Datenlage ist es möglich,
bereits vor Entstehung des expliziten Bedarfs
bei den massgebenden Entscheiderinnen und Entscheidern
präsent zu sein.
Verkaufsprozesse für anspruchsvolle Geschäftslösungen müssen daher auf den Nutzen und die Aufgaben des gesamten Buying Centers ausgerichtet werden. Der Kaufprozess folgt dabei selten einer geradlinigen Customer Journey, welche sich der Anbieter zurechtgelegt hat, sondern die potenziellen Kundinnen und Kunden definieren ihre Spielregeln eigenständig. Notwendig ist ein echtes Interesse für deren Anforderungen und der Aufbau einer Vertrauensbasis mit langfristigem Horizont. Denn auch bei geschäftlichen Transaktionen kaufen letztendlich noch immer Menschen von Menschen.
Artikel IT-Markt Ausgabe Nr. 6/2024
Martin Maurer, Profondia AG